Urbane Ethiken
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Netzwerke für „einen anderen Umgang mit Grund und Boden“

Netzwerke für „einen anderen Umgang mit Grund und Boden“


6.6.2016 von Max Ott

Wer bauen will braucht Geld. Die Planung von Gebäuden verursacht hohe Kosten, ihre Errichtung ebenso wie ihr Unterhalt. Zunächst lässt sich aber überhaupt nicht planen und bauen ohne den Zugriff auf Grundstücke, die ebenso finanziert werden müssen. Von der Kostenfrage ist auch betroffen, wer den Anspruch erhebt, sich planerisch am Urbanitätsideal von Diversität und Mischung zu orientieren: mit Bauvorhaben, die Möglichkeiten eines guten, weil „inklusiven“ städtischen Zusammenlebens einer „urbanen und sozialen Gemeinschaft“ entwerfen; mit Architekturen, die als „soziale Plastik“ in einem heterogenen Umfeld verstanden werden möchten (1). Für solch ‚ethische Projekte’ stellen sich schon hier eine Reihe von Fragen: Wie kommen wir zu einem geeigneten Grundstück? Wie können wir es überhaupt finanzieren angesichts steigender Bodenpreise in wachsenden Städten und einer Bodenpolitik, die den Grundsätzen freier Marktwirtschaft folgt? Wie können wir es dann so günstig finanzieren, dass die Idee, auch Personen mit wenig Eigenkapital zu beteiligen, ernst genommen, geschweige denn umgesetzt werden kann? Welche Organisationsform, welches Modell wäre für so ein Vorhaben richtig? Mit wem ließe sich kooperieren? Gibt es strategische Verbündete?

Einmal im Jahr finden in Berlin die Experimentdays statt, veranstaltet vom privat initiierten Institut für kreative Nachhaltigkeit und in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Jahresüberschriften wechseln, aber die Informationsveranstaltungen, Workshops, Vorträge und Exkursionen der Experimentdays legen meistens einen Schwerpunkt auf Beispiele kooperativer Wohnformen im städtischen Kontext. Beteiligt sind nicht nur Planer_innen, Bewohner_innen oder Vertreter_innen aus Politik und Stadtverwaltung, sondern auch diejenigen, deren Handeln für die finanzielle und rechtliche Realisierbarkeit selbst initiierter Bauvorhaben unabdingbar ist: spezielle Stiftungen und Kreditinstitute sowie Ju-rist_innen (2).
Rolf Novy-Huy ist Mitbegründer der Stiftung Trias, deren Fokus auf der Unterstützung gemeinschaftsorientierter Bauprojekte liegt. Die Stiftung wird immer nur dann aktiv, wenn Modelle entwickelt werden können, die ohne eine Versiegelung von Naturflächen und ohne Bodenspekulation arbeiten. Sie beteiligt sich an Finanzierung, Kauf und Übernahme von Grundstücken, ist jedoch oft selbst auf Kredite zur Vorfinanzierung angewiesen und arbeitet dafür mit Banken zusammen wie der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken - GLS. Das „Lieblingsinstrument“ (3) der Stiftung ist das Erbaurecht, das auf einer vertraglich fixierten Trennung von Grundstück und Immobilie und deren zweckgebundener Wie-derzusammenführung besteht. In Kooperation mit der schweizerischen Stiftung Edith Maryon wurde dieses Instrument auf dem Gelände des ehemaligen Druckmaschinenherstellers Rotaprint in Berlin Wedding an-gewandt. Die Stiftungen erwarben 2007 das Grundstück vom Berliner Liegenschaftsfonds und übergaben die darauf befindlichen denkmalgeschützten Gebäude noch am selben Tag der ExRotaprint GmbH für 99 Jahre in Erbpacht. Ein Vertrag macht die GmbH damit zur Besitzer_in auf Zeit, unterbindet jedoch gleichzeitig jegliche Möglichkeit der Spekulation mit dem Grundstück und überträgt spezifische Verantwortungen: In die-sem Fall sind es der Erhalt und die Pflege des Baudenkmals und die Ge-währleistung einer dreiteiligen Mischnutzung durch Ateliers, kleinteiliges produzierendes Gewerbe und soziale Einrichtungen für den strukturell benachteiligten Kiez (4). Die Stiftungen als Grundstücksbesitzerinnen sind in Novy-Huy’s Worten „Wächter der ideellen Werte“ (5), während die Besit-zer_innen der Immobilien sich auch vor ihren eigenen wechselhaften Be-gehrlichkeiten geschützt fühlen (6).
Ein anderer Weg wurde auf dem Gelände des ehemaligen Blumengroß-markts in Kreuzberg beschritten. Nach längerem Aushandlungsprozess konnten sich Bezirk, Senatsverwaltungen und Liegenschaftsfonds auf ein Konzeptverfahren für die Weiterentwicklung des Areals verständigen. Was damit gemeint ist, lässt sich anhand eines Bauvorhabens vor Ort veranschaulichen. Die Integrative Baugruppe am ehemaligen Blumen-großmarkt – IBeB bewarb sich in diesem Verfahren auf eines derjenigen Grundstücke, die unterhalb des üblichen Marktwertes erworben werden konnten. Der „Preis“ für das günstigere Angebot seitens des Landes: Die Bewerberin musste ein Konzept vorlegen, das eine Mischnutzung aus öffentlichen Einrichtungen, Atelierräumen und Wohnungen unterschiedlicher Preiskategorien vorsah. Die IBeB ist rechtlich betrachtet ein hybrides Gebilde aus einer Baugruppe in Wohneigentum, einer Genossenschaft und einem sozialen Träger und nutzt den niedrigeren Bodenpreis für ein Modell der solidarischen Querfinanzierung: Die zukünftigen Woh-nungseigentümer_innen garantieren mit einem höheren Kaufpreis eine Obergrenze der Genossenschaftmiete und der gewerblichen Einrichtungen. Das ist eine Maßnahme, die - wie eine Architektin der Baugruppe bemerkt - bei Dissenz innerhalb der Gruppe wiederum mit dem Entgegenkommen der Stadt beim Grundstückserwerb argumentiert werden kann – und der damit verbundenen allgemeinen Erwartungshaltung, dass hier auch etwas stadtethisch „Gutes“ geschieht.

Die Quadratmetermiete, die dabei erreicht wird, liegt dennoch nur knapp unter 10 Euro – ein Preis, der verdeutlicht, wie begrenzt die Möglichkeiten einer „Integration“ oder „Inklusion“ einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen in solch einem Modell doch sind. Auf einer abendlichen Diskussionsveranstaltung in dem Räumen der Spreefeld-Genossenschaft attestiert ein Genosse dann auch seinem Wohnprojekt „lediglich relativ bezahlbare Mieten“. Rolf Novy-Huy, ebenfalls anwesend, konstatiert, dass man es angesichts des aktuellen Preisdrucks einfach nicht mehr hinbekomme, in Eigeninitiative günstigeren Wohnraum zu produzieren. Die Stiftung Trias sei zwar stolz auf ihre sozialen Projekte und ihr Vermögen; dieses ließe sich jedoch sehr leicht schon in zwei Projekten „verbraten“, die Handlungsspielräume seien also begrenzt und die Abhängigkeit von Spenden und Schenkungen groß. Als er jedoch fragt, ob hier nicht auch ein politisches Problem vorliege und die gesetzgebende Politik vehementer zum Handeln gedrängt werden müsse, fallen die Reaktionen im Teilnehmerfeld unterschiedlich aus. Einige wenige wollen mehr über Politik sprechen. Viele jedoch sind nach mehreren Jahren Experimentdays und Dialogveranstaltungen mit Stadtpolitiker_innen der Überzeugung, dass dabei nicht viel zu erwarten sei. Man müsse eher selbst tätig werden, an die Selbstlosigkeit anderer Menschen appellieren und um deren private Spendenbereitschaft für gemeinschaftliche Projekte werben – gerade jetzt, wo das größte Erbschaftsvolumen in der Geschichte der BRD weitergereicht werde. Der Ethik wird an diesem Abend eine besonders hohe Kompetenz für die Beantwortung der ‚Bodenfrage’ zugesprochen.

(1) „Inklusion“ ist ein häufig verwendeter Begriff in den Selbstbeschreibungen der Bau- und Wohngenossenschaft Spreefeld und meint hier das selbstbestimmte und gemein-schaftliche Zusammenleben unterschiedlicher Personen- und Altersgruppen (vgl. http://experimentdays.de/2016/workshops/; 31.05.2016). Als „urbane und soziale Ge-meinschaft“ betrachtet sich eine Baugruppe in der südlichen Friedrichstadt (vgl. http://selbstbaugenossenschaft.de/?page_id=129; 31.05.2016). Die Künstler_innen Da-niela Brahm und Les Schliesser schließlich verstehen die von ihnen mit ins Leben geru-fene Nachnutzung einer ehemaligen Druckmaschinenfabrik als „soziale Plastik“ in der verschiedene Nutzungen und Akteursgruppen einen gemeinsamen Raum finden (vgl. ExRotaprint GmbH (2011): ExRotaprint Nachrichten Nr. 3: Das Modell ExRotaprint, Berlin, S. 13)

(2) http://experimentdays.de/2016/ (31.05.2016)

(3) Vortrag von Rolf Novy-Huy auf der WohnProjektBörse in der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Experimentdays 16 (Feldforschungsnotiz vom 28.05.2016).

(4) ExRotaprint GmbH (2011): ExRotaprint Nachrichten Nr. 3: Das Modell ExRotaprint, Berlin.

(5) Vortrag von Rolf Novy-Huy auf der WohnProjektBörse in der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Experimentdays 16 (Feldforschungsnotiz vom 28.05.2016).

(6) Interview mit Daniela Brahm und Les Schliesser, Ex-Rotaprint GmbH (16.11.2015).

(7) Wortmeldung auf einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Experimentdays 16 (Feldforschungsnotiz vom 27.05.2016).

(8) Zitate und Beobachtungen aus dem letzten Absatz: Feldforschungsnotizen vom 27.05.2016.