Urbane Ethiken
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Konjunktur des Ethischen

In historisch sehr unterschiedlichen Situationen lässt sich von urbanen Ethiken sprechen. Dennoch ist in jüngster Zeit eine besondere Konjunktur des Ethischen zu verzeichnen. Ethische Fragen haben derzeit einen solchen Stellenwert, dass Sozial- und Kulturwissenschaftler/innen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eine solche Konjunktur konstatieren. Diese Konjunktur verfolgen wir im urbanen Zusammenhang, ohne vorab eine exakte Chronologie festzulegen, wann sie begonnen hat - sie zu erarbeiten, gehört zu unseren Forschungszielen. Bezogen sich ethische Forderungen dabei zunächst vor allem auf Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit, Energieverbrauch oder den Umgang mit Abfall, so beeinflusst Ethik heute noch viele weitere Debatten um urbane Lebensführung. Zeitgenössische Auseinandersetzungen um die Bezahlbarkeit von Wohnraum oder der Verfügbarkeit von Freiräumen und Gemeingütern/commons etwa, werden nicht nur als politische Konflikte um Eigentumsverhältnisse artikuliert, sondern auch als Forderung nach einer „guten Stadt“.

Impulse für urbane Ethiken kommen von verschiedenen Seiten. Bewegungen mit politischer Ausprägung können aus der Zivilgesellschaft „von unten“ entstehen, wie etwa Protestbewegungen gegen soziale Missstände und autoritäre Regimes, deren Akteur/innen sich oftmals als Vertreter/innen des „Guten“ gegenüber einer ethisch „schlechten“ Ökonomie oder Staatsmacht und ihre Aktionen primär als ethisches Engagement verstehen. Andere Initiativen zielen darauf ab das Lebensumfeld oder die Lebensqualität zu verbessern, etwa zur Entschleunigung der Lebensweise im Sinn einer „slow city“ innerhalb von schnelllebigen globalen Metropolen. Auch in den Debatten um Architektur und Stadtgestalt gelten vermehrt ethische Prämissen. So lautete der programmatische Titel der Architekturbiennale Venedig im Jahr 2000 „Less Aesthetics, More Ethics“ und die Expo Shanghai 2010 war mit „Better City – Better Life“ betitelt.

Andererseits können ethische Forderungen von Stadtregierungen als Appell an Bürger/innen kommuniziert werden, um eine veränderte Lebensführung zu bewirken oder städtische Entwicklungsmodelle einzuleiten. Durch die Proklamation ethisch vorbildlicher Stadtbewohner/innen kann dies ganz ohne offensichtlichen Zwang gelingen: Seien es die mustergültigen grünen Einwohner/innen der Bürger/innenstadt in Zeiten von Klimawandel und ökologischem Bewusstsein; sei es der/die moderne und allein deshalb gute Bürger/in im Gegensatz zum unmodernen, bäuerlich-unkultivierten, also „schlechten“ Volk in Modernisierungsprozessen oder auch der/die, unternehmerische Städter/in in „kreativen Städten“.

Dabei lassen sich top-down-Strategien und bottom-up-Bewegungen nicht immer so eindeutig voneinander abgrenzen und entziehen sich in unscharfen Zwischenbereichen oder gegenseitigen Verflechtungen der unmittelbaren Zuordnung. Hier stellt sich die Frage, was in diesen zwischenliegenden Bereichen geschieht: welche Verbindungen werden in dieser Gemengelage geknüpft und wie nehmen die unterschiedlichen Strategien aufeinander Bezug?