Urbane Ethiken
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R.I.P. Magazin Mixt – oder die Kommodifizierung Bukarests

18.6.2017 - von Daniel Habit

Ioanna hatte keine Chance. Die Konkurrenz war zu übermächtig. Und auch ihrem Vermieter konnte und wollte sie nicht so richtig böse sein, dafür kannten sie sich zu lange und sie hatte irgendwo auch Verständnis dafür, dass er auch seinen Teil des Kuchens abbekommen wollte. Nun musste sie ihren Laden schließen, nach 26 Jahren war Schluss für ihr kleines „Magazin Mixt“, das für sie und viele Nachbarn in der Straße soviel mehr als nur der kleine Laden war. Einige Jahre nach der „Revolution“ von 1989 hatte sie den Laden aufgemacht und bis in die 2000er Jahre lief auch alles ziemlich gut für sie. Einmal die Woche kaufte sie auf dem „Europa“-Markt im Norden der Stadt bei chinesischen Händlern vor allem Zigaretten, Konserven und etwas Kleidung, dazu kam noch etwas Obst und Gemüse das ihr ein Bauer vorbeibrachte und die Getränkelieferung. Auf 14 Quadratmetern stapelte sie so mehr als 300 unterschiedliche Produkte, so genau konnte das niemand sagen, aber egal was man brauchte, Ioanna hatte es – oder zumindest viel ihr irgendwas ein was sich so ähnlich verwenden ließe. Ihr Laden befindet sich im Erdgeschoß eines klassischen Bukarester Bürgerhauses, errichtet um die Jahrhundertwende, und durch einen kleinen Gang gelangt sie in die „Garsoniera“, eine kleine Einzimmerwohnung, die sich in Bukarest quer durch alle Baustile und Stadtentwicklungsphasen zieht. Der Verlust des Ladens bedeutet demnach nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch ihre Wohnung muss geräumt werden. Dabei hatte Ioanna im Laufe der Jahre immer versucht, die Wünsche ihrer Kunden zu erfüllen und vor allem technische Veränderungen mitgemacht, auch wenn sie persönlich davon nicht sonderlich viel hielt – der Nescafe-Automat, freies Wlan, USB-Powerakkus zum Aufladen von E-Zigaretten. Auch ihre Öffnungszeiten waren sukzessive verlängert worden und je nach Witterung und ihrer Laune brannte auch spät abends noch Licht in ihrem Laden. An einer der großen Boulevards gegenüber der armenischen Kirche gelegen, in der Nähe von Schulen, direkt an einer stark frequentierten Kreuzung mit mehreren Bus- und Straßenbahnstationen ist die Lage des Objekts im Stadtentwicklungssprech mit 1B zu bezeichnen, und da machte die Konkurrenz dem Vermieter ein in Ioannas Worten unmoralisches Angebot, dem er nicht wiederstehen konnte.

Die Konkurrenz ist in diesem Fall die Supermarktkette „Mega Image“, die, Stand Juli 2017 mit 523 Filialen Bukarest monopolartig versorgt. Allein auf Ioannas Boulevard finden sich auf zwei Kilometern Länge zehn dieser Geschäfte unterschiedlicher Größe, mit Öffnungszeiten zwischen sieben und 22 Uhr – oder gleich rund um die Uhr. Und auch wenn die Schließung von Ioannas Laden nur eine kleine Randnotiz im täglichen Transformationsprozess der Großstadt bleiben wird, an die sich nur einige Nachbarn letztlich erinnern werden, so steht diese Übernahme doch für tiefgreifende Veränderungen in Bukarest seit der rumänischen Finanzkrise von 2008/2009, die auf einer Alltagsebene unter dem überstrapazierten Label Gentrifizierung vor allem Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse produzierte. „Urbane Regeneration“, „Rekonversion“, „Restaurierung“, „Quartiersentwicklung“ sind die dazugehörigen politischen Phrasen, mit denen Bukarest in den letzten zehn Jahren verstärkt konfrontiert wird und die vor allem auch gerne unter der Einbeziehung der „Kreativen Klasse“ einen sozialverträglichen Anstrich erhalten sollen. Die Umwandlung und Ökonomisierung von Flächen und Räumen in der Stadt, sei es durch den Stadtverwaltung, durch Public-Private-Partnerships oder durch privatwirtschaftliche Investoren verläuft dabei in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit und Dynamik, nicht zuletzt da die Exkludierten über kaum politische Mitsprachemöglichkeiten verfügen und die Stadt weit davon entfernt ist, eine schicht- und milieuübergreifende, bürgerschaftliche Diskussion über die Zukunft Bukarests zu führen. Dass daran – wie an eigentlich allem – der Sozialismus Schuld ist, hört man immer wieder als Antwort, das gegenseitige Misstrauen, die Abschaffung des öffentlichen Diskurses, die Transformation des öffentlichen Raums in einen reinen Transitraum, die Anonymisierung des urbanen Wohnen und Lebens – unter all diesen „Errungenschaften“ scheint die Stadt immer noch zu leiden. Gepaart mit einem zeitgenössischen Turbokapitalismus, der vor allem auf Kommodifizierung und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist verstärken sich 25 Jahre nach der „Revolution“ diese Phänomene eher als das sie sich abschwächen, die hohe Privatverschuldung zwingt die Menschen zu mehr Erwerbsarbeit, die Verlockungen des eigenen Autos lassen die Stadt zweimal täglich zusammenbrechen, die desaströse politische Landschaft lässt keinen öffentlichen Diskurs zu, 293 rumänische Fernsehsender führen eher zur Vereinzelung als zum nachbarschaftlichen Miteinander, öffentliche Markthallen werden zu Parkplätzen und auch die Flut an Stadtteilfesten bzw. urbanen Events mit weichgespülter und leicht zu konsumierender, gerne auch „traditioneller“ Kleinkunst kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier eine Stadt dem Kapital ausliefert. Kleine Handwerksbetriebe können schon lange nicht mehr konkurrieren, 18 MegaMalls zerstören den Einzelhandel, Bäckereien und Metzgereien überleben nur als Franchisenehmer, alte Cafés und Lokale stoßen auf eine aggressive Hipsterökonomie, ein Rentenniveau von etwa 70 Euro führt zu Altersarmut – und kleine Geschäfte wie Ioannas Laden werden übernommen und zu dem Zeitgeist entsprechenden „Shop&Go“-Filialen umgerüstet.

Sie selber hatte sich irgendwann damit abgefunden, es war auch nicht mehr ihr Bukarest. „Die Leute haben auch keine Zeit mehr. Schnell zur Arbeit ins Büro, abends wieder heim, dann hängen sie den ganzen Tag am Computer, ständig müssen sie auf ihr Handy schauen – da bleibt keine Zeit für einen Kaffee und ein Gespräch im Laden.“ Sie selber werde dann aufs Land zu Verwandten ziehen, da sei es ruhiger, die Menschen hätten noch Zeit füreinander Geld brauche sie da auch nicht soviel, „die haben einen großen Garten.“